Das Clubhaus von „Voice of Anger“ ist weiterhin aktiv als überregionaler Treffpunkt für die militante Neonaziszene. Wieder reisten am Pfingstwochenende Rechtsradikale aus dem ganzen Bundesgebiet zu einem Konzert an. Wieder lässt sie die Polizei gewähren – trotz Verbot.
Sie reisten zwischen 18:00 und 20:00 Uhr in einigen PKW an. Während die meisten davon auf dem Parkplatz der Kleingartenanlage abgestellt werden konnten, mussten einige aus Platzmangel ausweichen und entlang der Talstraße parken.
Der Großteil der Besuchenden reiste dabei überregional und aus dem ganzen Bundesgebiet an, auch ein Fahrzeug aus Italien war vor Ort.
Vom Gelände der Kleingartenanlage selbst war Musik zu vernehmen, während einige der Faschist*innen durch die Kleingartenanlage spazierten und der Aufbau eines Pavillons am Clubhaus zu beobachten war.
Die Polizei indes hatte an allen Zufahrten nach Buxach-Hart Verkehrskontrollstellen eingerichtet und winkte vereinzelt Autos heraus. Ein ziviles Fahrzeug fuhr den Parkplatz der Kleingartenanlage ab. Eine Intervention fand aber zumindest bis 21:30 Uhr nicht statt, so dass die Rechtsextremen ungestört feiern konnten.
Das ist erstaunlich, da die Stadt Memmingen in Absprache mit der zuständigen Polizei im Vorfeld des Konzerts eine Allgemeinverfügung erließ, die sämtliche nicht angezeigten und nicht genehmigten öffentlichen Vergnügungen im gesamten Stadtgebiet über das Pfingstwochenende verbot.
Die Verfügung sollte der Polizei eine niedrigschwellige Auflösung der Szenefeier ermöglichen. Stattdessen deklarierten die Rechtsextremen ihre Veranstaltung als private Geburtstagsfeier – mit Erfolg. Die Polizei ließ sie gewähren und ermöglichte so ein Konzert von Rechtsrock-Fans im hohen zweistelligen Bereich.
Dabei ist es ein alter Hut, dass Neonazis ihre Konzerte, Feiern und Treffen als Geburtstagsfeiern deklarieren, um der Polizei eine Auflösung zu erschweren. Das gilt auch für die Allgäuer Szene, die diese Taktik schon seit bald 40 Jahren anwendet. In jüngerer Zeit etwa setzten die Neonazis so am 30. März 2019 eine Veranstaltung in ihrem Schrebergarten-Clubhaus durch.
Trotzdem übernimmt die Polizei diese Deutung und erklärt auf Anfrage, es habe sich um „um eine private Geburtstagsfeier mit geladenen Gästen“ gehandelt.
Und das, obwohl der Polizei Erkenntnisse vorliegen, „dass auch nicht geladene Personen teilgenommen haben“ und „auch Live-Musik gespielt“ wurde.
Diese jedoch war, so bewertet es die Polizei, „für unbeteiligte Dritte nicht wahrnehmbar. Somit entfaltete die Veranstaltung keine Außenwirkung.“
Zugleich müsse man aber erst noch ermitteln, „ob und in welchem Umfang die Veranstaltung öffentlich zugänglich war.“ Doch selbst, wenn sich diesbezüglich die Auffassung der Polizei noch ändern sollte, würde lediglich für den Veranstalter ein Bußgeld für eine Ordnungswidrigkeit fällig.
Auf Fotos, die „Allgäu rechtsaußen“ vorliegen, sieht man Mitglieder von „Orgullo Sur“, der bekanntesten und beliebtesten Rechtsrock-Band aus Chile auf der Bühne im Clubhaus. Hinter ihnen ist ein Banner mit dem Motto des Konzerts zu sehen: „Angry, live and loud“.
Es ist bereits die vierte Auflage dieses Formats, seit „Voice of Anger“ 2017 auf einem Gehöft im benachbarten Landkreis Ravensburg, das kurz zuvor in das Eigentum eines ihrer Anhänger überging, die Serie begann und schon 2018 nachlegte.
Auch damals scheiterte die Polizei mit einer Auflösung – oder begnügte sich gleich mit der Regelung des Verkehrszuflusses zum Parkplatz. Jedes dieser beiden Konzerte zählte 200 bis 250 Teilnehmende.
Schon damals zogen die Konzerte Anhänger einer international vernetzten militanten Neonaziszene ins Allgäu. Schon das Lineup sprach Bände. Etwa das 1988 gegründete Rechtsrock-Urgestein „Mistreat“ aus Finnland, dem enge Kontakte zu den Hammerskins, einer selbsternannten Elite militanter Neonaziskinheads, nachgesagt wird.
Oder „Kommando Skin“, die bereits vor einem Banner von „Blood&Honour Deutschland“ und anderer einschlägiger Symbolik spielten. „Blood&Honour“ (B&H) ist in Deutschland seit Jahren verboten, aber weiter aktiv.
Es organisierte ein Millionengeschäft mit der Verbreitung von neonazistischer Musik, brachte aber auch Terrorkonzepte und -anleitungen über Zeitschriften, Booklets und Liedtexte in Umlauf und koppelte diese mit den Aufrufen, zur Tat zu schreiten – was dann unter anderem der NSU auch mörderisch umsetzte und dafür auf Unterstützung aus den Kreisen von B&H setzen konnte.
Auch beim diesjährigen „Angry, Live and Loud“ stehen die angekündigten Bands weiter für einen eng vernetzten internationalen und militanten Neonazi-Untergrund, dem auch „Voice of Anger“ selbst zuzurechnen ist: „Orgullo Sur“ aus Chile, „Total Annihilation“ aus den USA, „Sun City Skins“ aus Mexiko sowie „Smart Violence“ aus NRW.
Beobachter*innen verorten auch etwa „Orgullo Sur“ im Umfeld von Blood&Honour. Der Sänger der „Sun City Skins“ aus Mexiko nahm 2022 eine gemeinsame CD mit dem Sänger von „Orgullo Sur“ auf. Die US-Band „Total Annihilation“ brachte schon 2015 eine Split-CD mit „Orgullo Sur“ und 2022 dann mit „Smart Violence“ aus NRW heraus.
Beide Platten erschienen bei „Oldschool Records“ im Allgäu. Für dieses Label zeichnet sich mit Benjamin Einsiedler eine Führungsfigur von „Voice of Anger“ verantwortlich, der als umtriebiger internationaler Produzent, Verleger und Händler von Rechtsrock-Musik und -Merchandise im Allgäu Millionen umsetzt.
Dort erschienen auch die sonstigen Veröffentlichungen von „Smart Violence“. Frontmann ist der umtriebige Michael Brosch, der etwa bei den von Einsiedler produzierten „Prolligans“ oder auch „Sturm 18“ spielte. Die 18 steht für Adolf Hitler.
Dass dafür auch „Voice of Anger“ steht, machte in der Nacht zu Pfingsten ein Konzertteilnehmer aus Österreich erneut deutlich, der außerhalb des Kleingartengeländes – laut Polizei öffentlich – eine Hakenkreuzfahne schwang.
Die Fahne wurde sichergestellt und der 21-Jährige kassierte eine Strafanzeige wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Es sollte die einzige offizielle Störung des „Geburtstags“ bleiben, die sich die Neonazis an diesem Abend gefallen lassen mussten.